Jens Priewe stößt sich offenbar daran, dass sich der Begriff Trinkfluss nicht gut definieren läßt, und dass er für alle möglichen Arten von Wein verwendet wird. Und dass er, obschon eigentlich positiv besetzt, auf viele Spitzenweine nicht zutrifft. Hohen Trinkfluß haben "brave Spassweine wie die von Emil Bauer, Christoph Hammel und ihrer Nachahmer". Und weiter: "Weinchen, die sich easy trinken lassen, die jeder versteht, die man notfalls auch mit Eiswürfeln kühlen kann, die selbst Biertrinker lecker finden. Stoff für Weinfunatiker, von denen ernsthafte Weingießer nicht einmal ein einziges Glas runterkriegen würden."
Sehen wir mal davon ab, dass ich nicht weiß, was "ernsthafte Weingießer" sind (das steht da wirklich so; wahrscheinlich sind das die Menschen, die Wein aus Flaschen in Gläser befördern) und nehmen an, dass das "Weingenießer" heissen soll. Dann habe ich jetzt gelernt, dass ich kein Weing(en)ießer bin, denn ich habe tatsächlich mehr als ein einziges Glas der "braven Spaßweine" von Christoph Hammel getrunken. Und zwar mit Genuß, guckstu hier. Und Trinkfluß hatten die auch.
Was mir an dem Beitrag von Jens Priewe mißfällt ist weniger seine Ablehnung eines von mir und anderen gerne verwendeten Begriffs als vielmehr die Attitüde, die da zum Ausdruck kommt. "[B]rave Spassweine ... von denen ernsthafte Weing[en]ießer nicht einmal ein einziges Glas runterkriegen würden". Wer hochwertige und entsprechend teure Weine trinkt, darf nicht gleichzeitig Spaß an einfachen, handwerklich sauberen Weinen haben. Wer im Drei-Sterne-Restaurant isst, darf nicht gleichzeitig die Pizza beim Italiener um die Ecke mögen. Das kann man natürlich so sehen, aber meine Sicht der Dinge ist es nicht.
Aber zurück zum Trinkfluss. Gut definieren kann ich den Begriff auch nicht. Er steht für mich für einen Wein, der mir unmittelbar Lust auf den nächsten Schluck und das nächste Glas macht. Der nicht "satt" macht. Bei dem die Chance gering ist, dass am nächsten Morgen noch etwas in der Flasche ist. An Parametern wie Alkoholgehalt, Restzuchergehalt oder Säure kann man das nur bedingt festmachen. In der Fachliteratur meines Berufsstands gibt es das Bonmot "liquidity, like pornography, is easily recognized but not so easily defind" (O'Hara 1997, S. 215). Zwar ist da mit "Liquidity" etwas ganz anderes gemeint als Trinkfluss, aber die Aussage passt. Ob ein Wein Trinkfluss hat, merkt man, wenn man ihn trinkt. So wie bei diesem Wein hier und heute. Und ich werde mir weiterhin das Recht herausnehmen, das dann auch zu sagen bzw. zu schreiben. Ernsthafter Weingießer bin ich ja ohnehin nicht und werde ich wohl auch nicht mehr.
2009 Willi Schäfer Graacher Domprobst Riesling Kabinett
Reifes Goldgelb
In der Nase ausgeprägte Schiefermineralik, reifer Apfel
Am Gaumen perfekte Kombination aus Reife, Süße und animierender Säure. Bei aller Leichtigkeit nachhaltig und lang. Jetzt in hervorragender Trinkreife, die er sicher noch fünf und mehr Jahre halten wird.
Ach ja: Trinkfluss hat er auch. Und zwar sowas von.
89-91, bis 2023+
Mein erster Blogbeitrag mit Literaturverzeichnis:
O'Hara, M. (1997): Market Microstructure Theory, Wiley.
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