Dienstag, 16. April 2019

Lidl lohnt sich?

Mehr zufällig hatte ich mitbekommen, dass es im Lidl Online-Shop (der durchaus eine Auswahl seriöser Weine im Programm führt) 40% Rabatt auf französische Weine gab. In solchen Fällen wird das Gehirn aus- und der Schnäppchenjägermodus eingeschaltet. Auf der Webseite fand sich 2010er Chateau Lagrange / Saint Julien. Lagrange ist ein Chateau, das ich schätze, 2010 ein sehr guter Jahrgang und 40% Rabatt sind ein starkes Argument. Daher habe ich ein paar Flaschen bestellt.

Die Freude über die Neuerwerbung wurde jedoch kurz darauf getrübt, als in einem Weinforum Berichte darüber auftauchten, die Weine aus der Lidl-Aktion seien schlecht (insbesondere: zu warm) gelagert worden (guckstu hier). Angeblich zeige sich das an vergleichsweise niedrigem Füllstand, durchnässtem Korken und einem für Alter und Jahrgang fortgeschrittenen Entwicklungsstand.

Diese Meldungen riefen den Wissenschaftler in mir auf den Plan - ich wollte es genau wissen. Neben den Lidl-Lagranges haben wir nämlich noch drei Flaschen aus anderer Quelle, die schon einige Zeit in unserem Keller lagern. Also habe ich zwei Flaschen geöffnet, beziehungsweise erst einmal von aussen begutachtet:

Der Lidl-Wein (immer rechts im Bild) ist anders etikettiert, möglicherweise war der Wein für einen Exportmarkt bestimmt und ist dann entweder nie dort hingeliefert worden oder wieder zurückgekommen.



Der Füllstand des Lidl-Weins ist etwas niedriger als der der anderen Flasche. Allerdings habe ich auch von meinen Lidl-Flaschen die mit dem niedrigsten Füllstand rausgesucht.


Einen sehr deutlichen Unterschied sah man beim Korken. Links der (perfekte) Korken der Vergleichsflasche, rechts der Lidl-Korken: Der ist schon recht weit durchfeuchtet. Ausserdem ragte er 1-2 Millimeter aus der Flasche heraus, so dass er am oberen Ende (im Bild ist das das untere Ende) etwas geweitet war.


Was letztlich zählt ist aber natürlich das, was in der Flasche ist. Also:

2010 Chateau Lagrange, Saint-Julien - Lidl
Dunkles Purpurrot ohne Reifenoten
Direkt nach dem Öffnen sehr präsente Nase, dunkle Früchte, Waldboden. Mit mehr Luft gesellt sich eine leicht rauchige Note zu den dunklen Früchten. Am zweiten Tag recht ausgeprägte dunkelfruchtige Nase. Darüber liegt ein schwer definierbarer (metallischer?) Duft, der die Klarheit der Frucht beeinträchtigt.
Am Gaumen ist zwar noch viel (und leicht trocknendes) Tannin spürbar, aber der Wein wirkt durchaus schon zugänglich. Dunkelfruchtig, mittlere Länge.
86-88, bis 2025+

2010 Chateau Lagrange, Saint-Julien - Vergleichsflasche
In der Farbe ähnlich dunkel, aber mit einem ausgeprägteren Violettschimmer
In der Nase deutlich zurückhaltender, dunkelfruchtig, sehr dezente Holznote. Mit mehr Luft wird die Nase intensiver und vielschichtiger, Brombeeren, Kräuter und eine ätherische, frisch wirkende Note.
Auch am zweiten Tag noch vergleichsweise zurückhaltend, aber distinguiert wirkend, Cassis, Brombeeren. Wirkt deutlich transparenter als bei dem anderen Wein. 
Am Gaumen ausgeprägte Cassis-Note, viel reifes Tannin, der Wein wirkt insgesamt noch recht verschlossen, aber auch tiefgründig mit klarem Potential. Am zweiten Tag ein wenig zugänglicher, aber der Wein sollte wohl besser noch ein paar Jahre im Keller verbringen.
Insgesamt verschlossener, aber auch tiefgründiger und eleganter wirkend.
90-92, 2021-2030+


Fazit: Hier hat sich Lidl nicht gelohnt. Der Lidl-Wein ist zwar nicht fehlerhaft, aber weiter entwickelt als die andere Flasche und auch qualitativ nicht auf dem gleichen Niveau. Meine Frau (die nicht wusste, was es mit den beiden Weinen auf sich hat), hat nur gerochen und den Unterschied sofort wahrgenommen.






1 Kommentar:

  1. Toller Vergleich! Habe ihn grade sehr interessiert gelesen, da ich auch bei der Aktion zugeschlagen hatte. Ich fühle mich mit meinem Wein jedoch näher an der guten Vergleichsflasche - also offenbar Glück gehabt :-) Viele Grüße und Cheerz

    AntwortenLöschen