Bei Bordeaux denkt man mittlerweile leider oft an "teuer". Für die Spitzen-Crus trifft das auch unzweifelhaft zu. Aber es gibt eben nicht nur eine erste Liga, sondern auch eine zweite, eine dritte, eine Regionalliga etc. Da geht es ziemlich weit bergab, auch in Bordeaux. Aber bleiben wir mal bei der Regionalliga. Da wird nämlich auch guter Fußball gespielt (das muß ich so schreiben, ich bin Anhänger von Alemannia Aachen). Beziehungsweise guter Wein gemacht. Um den geht es heute. Chateau Lanessan im Haut-Medoc ist so ein Regionalliga-Gut, ein Traditionsverein sogar (um bei der Analogie zu bleiben). Schon sehr lange im Geschäft und für durchaus langlebige Weine bekannt. Einige Jahrgänge haben wir im Keller, und nach der jüngsten Aufräumaktion in eben diesem Keller standen heute drei etwas betagte Regionalligisten zur Probe an.
1988 Chateau Lanessan
Recht helles Rot mit orange-braunen Reifenoten
In der Nase anfangs etwas staubig, dahinter noch recht ausgeprägte
Frucht,mit mehr Luft auch Liebstöckel
Am Gaumen macht sich sofort eine präsente Frucht bemerkbar, mittelgewichtig,
kernig und in keinster Weise gezehrt wirkend. Das ist kein Charmebolzen, aber
ein solider und hervorragend gereifter Cru Bourgeois.
86-88
1990 Chateau Lanessan
Wieder recht helles Rot mit orange Rand, wirkt leicht trüb
In der Nase dominieren Tertiäraromen; Fleisch, Waldboden,
Pilze
Am Gaumen gradlinig, Graphit, präsente Säure, Teer, durchaus
elegant wirkend. Wirkt nicht gezehrt, gefällt mir anfangs weniger gut als der
1988er, legt mit Luft aber zu. Dürfte noch einige Jahre durchhalten.
86-88
1998 Chateau Lanessan
Mittleres Rot mit angedeuteter Reife am Rand
In der Nase von mittlerer Intensität, deutlich rotfruchtig
Am Gaumen verhalten rotfruchtig, noch (zu) präsentes Tannin.
Erinnert aromatisch an den 1988er, ohne ihn aber zu erreichen. Das ist noch in
bestens trinkbarem Zustand, aber das Tannin trübt den Trinkspaß dann doch
etwas.
83-85, bis 2020
Fazit: Seinen Ruf, langlebige Weine zu erzeugen, hat Chateau
Lanessan eindrucksvoll bestätigt. Obwohl in allen Fällen das prognostizierte Trinkfenster längst abgelaufen ist (bei Parker
bis 2008/2005/2015 für 1988/1990/1998) stehen alle drei Weine gut da. Der
1988er und 1990er sind vom Charakter her sehr unterschiedlich, aber beide sehr
gut. Das waren aber natürlich auch hervorragende Bordeaux-Jahrgänge, wobei 1988
sicher "klassischer" ist als 1990. Der 1998er aus kleinerem Jahr
fällt etwas ab und vermittelt nicht den großen Trinkspaß.
Und vielleicht noch ein Wort zur Preisentwicklung: Die
Preissteigerungen in Bordeaux werden ja gerne kritisiert, und für die
Top-Chateaux sind die Erhöhungen ja tatsächlich in vielen Fällen exorbitant.
Aber bei Chateau Lanessan (das hier nur stellvertretend für eine Vielzahl von
soliden Weingütern ohne Glamour-Faktor steht) sind wir in einer ganz anderen Welt.
Der 1988er hat 1990 14,40 DM gekostet, der 1990er zwei Jahre später 15,50 DM
und den 1998er habe ich 1999 für 22 DM gekauft. Letzten Monat habe ich 2016er
Lanessan subskribiert - ein dem Vernehmen nach hervorragender Bordeaux-Jahrgang
mit exzellenten Bewertungen für Lanessan (90-92 von Neil Martin bei Parker). Der
Preis? 13.30 €. Macht im Vergleich zum (vermutlich schwächeren) 1998er eine
jährliche Preissteigerung von unter 1% und im Vergleich zum 1988er von gut 2%. Da
ist nix orbitant - das ist klar unterhalb der Inflationsrate.
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