Freitag, 4. November 2022

"Arschjahr" reloaded - Was kann 2010?

Am Jahrgang 2010 scheiden sich die Geister. Wegen heftiger Regenfälle vor allem im September und hoher Säurewerte wurde er teilweise als schlechter Jahrgang bezeichnet (etwa hier) oder gar zum "Arschjahr" herabgewürdigt. Andere sprechen von grossen Weinen mit langer Zukunft (etwa hier). Wie bringt man das unter einen Hut? Es kommt sicher (auch) darauf an, was man probiert - einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Weine oder die Spitze, im trockenen Bereich repräsentiert durch die Großen Gewächse der Winzerelite. 

Auch was die Lagerfähigkeit angeht gab und gibt es unterschiedliche Meinungen. Teilweise wird die Ansicht vertereten, hohe Säurewerte bedeuteten quasi automatisch lange Lagerfähugkeit. Andere sprachen zumindest den einfacheren Weinen des Jahrgangs langes Lagerpotential ab. Am Ende gilt natürlich: The proof of the wine is in the glass. Und so versammelte sich im September die Kölner Seilschaft in den sehr schönen Räumlichkeiten der Winebank Köln, um den Jahrgang 2010 auf die Probe zu stellen. Das Augenmerk galt dabei eher der Spitze als dem Durchschnitt des Jahrgangs.

 

 

Dönnhoff Tonschiefer

Noch in bester Verfassung, schön gereift, hat die im Jahr nach der Ernte veröffentlichten Trinkreifeangaben (WeinPlus bis 2012, Wine Advocate bis 2016) Lügen gestraft. 

87 [Spannweite der Bewertungen aller 12 Probenteilnehmer: 85-89]


Karthäuserhof "Alte Reben"

In der Nase durchaus noch frisch wirkend, am Gaumen "weich" wirkend mit spürbarem Süßeeindruck. Noch sehr gut zu trinen, war aber vermutlich vor ein paar Jahren noch besser. 

87


Köhler-Ruprecht Kallstadter Saumagen Kabinett trocken

Für mich deutlich auf dem absteigenden Ast, viel Kraft aber auch malzige Noten. Mach mir keinen rechten Spaß mehr. 

75-79 (es gab in der Gruppe aber deutlich positivere Bewertungen)


Köhler-Ruprecht Kallstadter Saumagen Spätlese trocken

Deutlich frischer und besser als der Kabinett, schöne, volle Frucht, das sprichwörtliche "Maul voll Wein". 

89


Dönnhoff Schoßböckelheimer Felsenberg 

Sehr schöner Wein, straff und schlank, mit schöner Frucht und prägnanter Säure

91 [91-94] 

(Hinweis: das ist nicht das GG; bis einschliesslichen 2010 gab es neben dem als "Felsentürmchen" bezeichneten GG noch einen weiteren trockenen Riesling aus der Lage)

 

Keller Von der Fels

Leider ein leichter Korktreffer. Dahinter ein mineralisch unterlegter Wein mit schön entwickelter Frucht Mineralik und einem Hauch Restsüße. Bei der Bewertung habe ich versucht, den Kork "wegzudenken"

90? [87-90]


Vam Volxem Scharzhofberger "P"

Sehr reife Nase, etwas gezehrt wirkende apfelige Frucht, recht deutlicher Süßeeindruck. Vielleicht eine schwache oder schlecht gelagerte Flasche? Ich hatte mir jedenfalls mehr versprochen. 

88 [85-88]

 

Emrich-Schönleber Monzinger Halenberg GG

Mineralisch, schöne Frucht, viel Säure, hervorragend

93 [92-95]


Jakob Schneider Niederhäuser Hermannshöhle "Magnus" 

Sehr schöne gelbfruchtige Aromatik, wirkt aber im direkten Vergleich mit Halenberg und Hermannshöhle (auf sehr hohem Niveau) etwas behäbig. Trotzdem ein sehr schöner Wein mit sehr gutem Preis-Leistungsverhältnis 

91 [91-94]


Dönnhoff Niederhäuser Hermannshöhle GG 

Sehr mineralisch, tief. gelbfruchtig 

93 [92-94]

 

August Eser Oestricher Lenchen Erstes Gewächs

Gelbfruchtige Aromatik, wirkt (auch hier: auf hohem Niveau) etwas unharmonisch 

89 [87-90]


P.J. Kühn Mittelheimer St. Nikoloaus "Drei Trauben"

Schwierig. Es wurde Korkverdacht geäussert, aber ich denke nicht, dass es Kork war. Trotzdem war irgend etwas mit der Flasche. Zwar schöne Kräuteraromatik, aber auch etwas gezehrt. 

90?


Battenfeld-Spanier Mölsheimer Zellerweg am schwarzen Herrgott

Dunkles Goldgelb, kräutrig-nussig, macht auf mich einen leicht gezehrten Eindruck 

90

 

Kühling-Gillot Niersteiner Pettenthal GG

Ebenfalls dunkles Goldgelb, zwar sehr reif, aber in sich ruhend und mit schöner Frucht, aber etwas dominanter Säure 

91

 

Wittmann Westhofener Morstein GG

Tolle, etwas rauchige gelbfruchtige Nase, auch etwas Karamell, am Gaumen ebenfalls tolle Frucht, ganz leicht hervorstechende Säure (die einer noch höheren Bewertung entgegensteht)

94 [93-96]


Keller Westhofener Kirchspiel GG 

Gelbfruchtig, tief und mineralisch, spürbarer Süßeeindruck 

92 [92-95]


Kranz Ilbesheimer Kalmit Terrassen

Sehr schöner, noch sehr frisch wirkender Wein mit schöner gelbfruchtiger Aromatik, ein echter Spaßwein 

92 [92-95]


Christmann Königsbacher Idig GG

Eher zurückhaltend und in sich ruhend wirkender Wein mit toller Frucht und Balance

94


Prager Smaragd Wachstum Bodenstein 

Rauchig und verhalten gelbfruchtig, opulenter Stil, spürbare Süße, die aber gut mit Frucht und Säure harmoniert. 

92


Nachdem die Probe durchaus Lust auf 2010 gemacht hat, habe ich am Abend danach noch das hier aus dem Keller geholt:

Dönnhof Niederhäuser Hermannshöhle Spätlese 

Reifes Goldgelb
Ausgeprägter, sehr schöner und mineralisch unterlegter Duft nach (teils exotischen) gelben Früchten (Aprikose, Mango)
Auch am Gaumen viel gelbe Frucht, sehr schöne Süße-Säure-Balance, langes Finale mit deutlicher Mineralik 

93 


Mein Fazit läßt sich in vier Punkten zusammenfassen: 

Alle Weine der Probe stammen von hervorragenden Weingütern, die gerade in schwierigen Jahren einen hohen Selektionsaufwand betreiben. Daher zeichnet die Probe womöglich ein zu gutes Bild des Jahrgangs.

2010 ist ein in der Spitze sehr guter, aber nicht großer Jahrgang. In einem großen Jahr hätte man bei diesem Line-up doch den ein oder anderen Wein erwartet, der die 95-Punkte-Marke knackt. 

Meine Favoriten waren Christmanns Idig und Wittmanns Morstein, gefolgt von Dönnhoffs Hermannshöhle und Emrich-Schönlebers Halenberg 

Auch einige Weine, die ich nicht auf der Rechnung hatte, präsentierten sich hervorragend, so etwa die Kalmit Terrassen von Kranz und Dönnhoffs Nicht-GG Felsenberg