Sonntag, 25. Juni 2017

Wenn der Hahn kräht

Unter Ökonomen heisst es ja, es gäbe "no such thing as a free lunch". Aber kostenlose Weinverkostungen gibt es manchmal doch. Am 12. Juni lud der Meininger-Verlag zu einer Verkostung von Chiantis und kulinarischen Spezialitäten (Olivenöl, Schinken und Pecorino) nach Düsseldorf ein, für registrierte Besucher kostenlos. Das Fachpublikum durfte schon um 14 Uhr ran, Endverbraucher ab 17 Uhr. Praktischererweise gelten Blogger als Fachbesucher und so kam ich in den Genuß einer sehr entspannten Verkostungsatmosphäre. Insgesamt waren 27 Weingüter vertreten; die meisten mit drei Weinen, alles "echte" Chiantis (also keine "Super Tuscans" und sonstiges Gedöns).

Die Kollektion des Tages

Ich habe im wesentlichen in drei Durchgängen probiert, nämlich zuerst die 2015er Classicos, dann die 2013er Riservas und Gran Seleziones und schliesslich alles, was mich sonst noch so interessierte. Ich berichte aber nach Weingütern geordnet. Neben den bekannten Namen habe ich bewußt auch die Weine einger (zumindest mir) unbekannten Güter probiert.

Banfi ist ein riesiger Laden. Allein von der Riserva werden 750.000 Flaschen produziert, allerdings aus zugekauften Trauben. Es gibt unter dem Namen Fonte alle Selva aber auch Weine, die aus eigenen Trauben hergestellt werden. Der 2015er Fonte alle Selva hat mir mit schöner Kirschfrucht und Marzipan sehr gut gefallen (86-88+). "Kirschfrucht" wird im weiteren Verlauf des öfteren erwähnt werden, aber was soll ich denn machen - viele Weine schmeckten eben intensiv nach Kirsche (und ich mag das). Die Riserva aus der Großproduktion kam mit dem "Fonte alle Selva" übrigens nicht mit (83-85).

Der 2015er Brolio von Barone Ricasoli hat mich nicht wirklich überzeugt (etwas undifferenzierte Frucht, 83-85). Die 2013er Gran Selezione (schöne Frucht, frisch wirkend, Potential, 89-91) war deutlich besser. Ricasoli verwendet neben der Hauptsorte Sangiovese (mindetsens 80%) ziemlich viel Cabernet, Merlot und zum Teil sogar Petit Verdot in seinen Cuvees.

Mir vorher völlig unbekannt war Carus Vini, ein 13 Hektar grosses Gut. Die 2013er Riserva war einer der wenigen Weine mit deutlichem Cabernet-Anteil, der mir wirklich gefiel (sehr schöne Nase; wenn man's weiß, kann man den Cabernet identifizieren, nachhaltig, leicht salzig, 89-91+).

Den Vogel abgeschossen hat Castello di Fonterutoli. Schon der 2015er Classico ist ein toller Wein mit intensiver, "dunkler" Nase, schöner Fruchtintensität und elegenter Anmutung am Gaumen. Das ist ein echter Spaßwein (89-91). Die 2013er Riserva Ser Lapo (mit 10% Merlot) setzt noch eins drauf mit intensiver Kirschfrucht, großer Intensität und leicht salziger Note (92-94). Aber da geht noch mehr. Die 2013er Gran Selezione verführt sofort mit großartiger Frucht in der Nase. Ich verwende das Wort "geil" eigentlich fast nie (jedenfalls nicht im Zusammenhang mit Wein :-) ), aber hier paßt es. Am Gaumen sehr intensiv und trotzdem elegant wirkend; die Struktur des Weines ist hinter der enormen Frucht versteckt, aber vorhanden. Ich finde das grandios und habe tatsächlich 95-97 auf meinem Zettel stehen.

Entspannte Verkostungsatmosphäre

Castello die Monterinaldi und Castello Vicchiomaggio sind wieder zwei Weingüter, die ich gar nicht kannte. Beide 2015er Classicos waren zuverlässig (jeweils 86-88). Ähnliches gilt für Dievole, einen anscheinend recht großen Erzeuger (von dem Classico alleine gibt es 230.000 Flaschen), den ich trotzdem nicht kannte. Am besten gefallen hat mir hier die 2014er Riserva "Novecento", die noch Zeit braucht, aber erkennbar Potential hat (89-91).

Die Fattoria die Felsina ist quasi mein Hausweingut in der Toskana, das einzige Gut, von dem wir nennenswerte Mengen im Keller haben. Die Chiantis hier werden aus 100% Sangiovese erzeugt. Der 2015er Berardenga ist derzeit eher verhalten, mit sauberer Frucht, eher auf der elegenten Seite (86-88). Die 2013er Riserva Rancia mit ihrer intensiven Nase und der typischen Salzigkeit ist ein hervorragender Wein mit viel Potential (92-94; daß die Rancias hervorragend reifen können, weiß jeder, der den 1990er kennt). Es geht aber noch besser. Die 2010er Gran Selezione "Colonia" aus einem mit viel Aufwand neu angelegten Weinberg ist ein großartiger Wein; trotz aller Intensität fast ätherisch wirkend, erdig ohne rustikal zu sein, mit toller Frucht und Struktur und viel Zukunft (95-97). Allerdings wird dafür auch ein Preis um 80 € aufgerufen. 

Pecorino konte auch probiert werden

Ein weiteres mir zuvor unbekanntes Gut ist Losi Querciavalle aus Castelnuovo Berardenga. Hier bringt man die Weine offenbar erst nach längerer Lagerung in den Verkauf, denn man bot einen 2012er Classico (in der Nase eher kräuterwürzig, eher auf die Struktur als auf die Frucht gestellt, 86-88), eine 2011er Riserva (89-91) und eine 2010er Gran Selezione "Millenium Losi" (feine, differenzierte Nase, Orange (?), am Gaumen erdig und mit seiner salzigen Note an Felsinas Rancia erinnernd) auf.

Die Weine von Rocca delle Macie kamen nach meiner Ansicht mit den besten nicht mit. Der 2015er Classico "Sant' Alfonso" wirkt noch unnahbar mit dunkler Frucht und etwas Gummi; aromatisch ist das nicht mein Wein (83-85+). Die 2013er Riserva "Famiglia Zingarelli" wirkt rund, mit etwas Schololade und einer leicht grünen Note (Vom Cabernet-Anteil?), 86-88. Noch etwas besser die 2013er Gran Selezione "Riserva di Fizzano" mit schöner, offener Nase und ausgeprägter Kirschfrucht, vielleicht ein wenig monolithisch wirkend.

Bei San Felice, einem weiteren Gut aus Castenuovo Berardenga, gab es gediegen wirkende Weine. Der 2015er Classico "San Felice" hat eine schön differenzierte Frucht, ist elegant und trinkt sich sehr gut (86-88). Auf ähnlichem Niveau, aber kräftiger und mit einer eher kräutrigen Aromatik die 2013er Riserva "Il Grigio". Bester Wein hier ist die 2013er Gran Selezione "Il Grigio" mit eher leiser Aromatik, schöner Kirschfrucht und einer erdigen, leicht salzigen Note. Diese Salzigkeit zeigt sich bei vielen Weinen aus Castenuovo Berardenga, angefangen natürlich bei Felsinas "Rancia". Ich sollte mal in Erfahrung bringen, ob die Böden dort sich durch irgendeine Besonderheit auszeichnen.

Auf hohem Niveau waren die Weine der Villa Calcinaia, die nur 2014er im Angebot hatte. Die Riserva "Villa Calcinaia" wartete mit schöner Kirschfrucht auf und ist schon zugänglich (89-91). Neben den im Programm aufgeführten Weinen gab es noch einen auf sandigem Boden gewachsenen Einzellagenwein, dessen Namen ich mir leider nicht notiert habe. Das ist schade, denn der Wein war sehr gut, elegant und mit reintöniger Kirschfrucht ausgestattet (89-91+). Auf gleichem Niveau die Gran Selezione "Vigna Bastignano" mit einer feinen, zurückhaltenden, aber deutlich mineralisch geprägten Nase. Ein eleganter, schöner Wein mit fast zart wirkender Frucht (89-91+).

Nur einen Wein habe ich von Villa Mangiacane probiert, einen 2013er Classico "Mangiacane". Der war dunkelfruchtig, mit erdiger Nase und sehr nachhaltig (86-88).

Last but not least die Villa Trasqua, ein in Schweizer Besitz befindliches Gut, das ich nicht kannte, das aber vollauf überzeugen konnte. Der 2013er Classico zeigt saubere Kirschfrucht und eine recht ausgeprägte Säure (86-88). In jeder Beziehung eine Stufe darüber die 2012er Riserva "Fanatico" mit tiefgründiger Kirschfrucht, zupackenden Tanninen und erkennbarem Potential (89-91). Das einzige, das mir an dem Wein nicht gefällt, ist der Name. Mit an der Spitze aller verkosteten Weine dann die 2011er Gran Selezione "Nerento". Auch hier intensive Kirschfrucht, viel Druck, Nachhaltigkeit und spürbares Tannin (92-94). Die Weine scheinen in Deutschland nicht leicht erhältlich zu sein, aber es dürfte sich lohnen, danach zu suchen.

So eine Verkostung ist harte Arbeit :-)


Fazit: Insgesamt gab es viele sehr gute bis hervorragende Weine, von denen viele zudem ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis aufweisen. Den Trend, Merlot und Cabernet bei der Chianti-Produktion zu verwenden, sehe ich eher kritisch. Neben einigen sehr gelungenen Weinen (Ser Lapo, Carus Vini) gabe es auch viele Weine, bei denen mich (insbesondere) die Cabernet-Aromen störten. Bei den Platzhirschen überzeugten die Fattorie die Felsina und vor allem das Castello di Fonterutoli. Da gibt es verdammt viel Wein für einen fairen Preis (nein, ich bekomme keine Prozente). Ich konnte nicht anders, als mir von allen drei Fonterutoli-Weinen je sechs Flaschen in den Keller zu legen. Bezugsquellen lassen sich leicht gugeln. Meine Neuentdeckung des Tages war die Villa Trasqua mt sehr schönen Weinen, die allerdings in Deutschland nicht leicht zu finden sind.