Donnerstag, 10. März 2016

"Kellertränen" oder "Die Mutter aller Spätlesen"

Als Weintrinker und Sammler hat man ja so einiges im Keller. Man kann die Vorräte in drei Kategorien einteilen. Erstens sind da die Weine, bei denen man sich wünscht, die letzte Flasche sei schon getrunken. Davon haben wir einige, aber ich verkneife es mir, Beispiele zu nennen. Dann gibt es die Kategorie "neutral". Das sind oft (Alltags)Weine, die gut, aber eben nicht denkwürdig sind. Wenn die letzte Flasche weg ist, ist sie eben weg. Oder es sind Weine, bei denen der Nachfolgejahrgang schon bereitliegt oder die Bestellung jedenfalls beschlossene Sache ist. Dann gibt es aber die Weine, die nicht ersetzbar sind. Nicht, weil sie so teuer wären (das gibt es auch, aber darum geht es heute nicht), sondern weil sie eben denkwürdig sind. Weine, bei denen man um die letzten Flaschen herumschleicht, und sich nicht recht traut, sie zu entkorken. Es wäre ja dann fast nichts mehr übrig. Und wenn dann doch die letzte Flasche dran glauben muß, fließen eben ein paar Kellertränen.



Um so einen Wein geht es heute. Eine traumhafte Spätlese. Die Mutter aller Spätlesen, sozusagen. Sie stammt vom Weingut Crusius an der Nahe. 2002 Norheimer Kirschheck. Zuerst gekauft 2005 und dann nochmal in 2006. Der zweite Karton hat gerade mal knapp über 6 Euro pro Flasche gekostet, weil es zu der Zeit im Weingut gerade 30% Rabatt auf alle älteren Weine gab. Einen Wein mit einem besseren Preis-Leistungsverhältnis habe ich nie gehabt und werde ich wohl auch nie wieder bekommen.

Wir hatten zwischenzeitlich auch 2002er Norheimer Kirschheck Spätlese von Dönnhoff, und ich habe mir mehr als einmal den Spaß einer Blindprobe mit den beiden Weinen erlaubt. Das war aber immer eine sehr einseitige Angelegenheit (und das, wo ich bekennender Dönnhoff-Fan bin).

In den Untiefen des Internets habe ich noch eine alte Verkostungsnotiz von mir gefunden (aus dem April 2006):

"Mittleres Goldgelb. In der Nase sehr fein und delikat, gelbe Früchte. Auch am Gaumen mit sehr feiner, mineralisch unterlegter Frucht und grossartigem Süße-Säure-Spiel. Hat sich seit letztem Jahr geöffnet und dabei deutlich zugelegt. Grossartige Spätlese, jetzt (und bis 2010) auf dem Höhepunkt. 92 Punkte"

Falsch daran war nur die Prognose "bis 2010". Heute wurde die letzte Flasche entkorkt und dabei zeigte sich, dass der Wein nach wie vor grossartig ist und noch einige Jahre vor sich hat. Diese Prognose werde ich aber leider nicht mehr überprüfen können.


2002 Crusius Norheimer Kirschheck Riesling Spätlese
Helles Goldgelb.
In der Nase ganz sauber, Teeblätter, Aprikose, recht tief.
Am Gaumen frisch wirkend, schöne Fruchtnoten werden von einer immer noch lebhaften Säure bestens balanciert. Die Süße ist spürbar, aber doch etwas in den Hintergrund getreten. Langer Nachhall. Es ist faszinierend, wieviel Intensität es hier bei nur 7% Alkohol gibt und wie frisch der Wein noch wirkt. Das ist (nach wie vor) eine große Spätlese, die ich blind deutlich jünger geschätzt hätte und die Potential für einige weitere Jahre hat. Chapeau.
92-94, bis 2020

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen